SIKINOS - ANFANG JUNI 2022

Er sah schon von weitem, dass ich ihn fotografierte, dabei wollte ich nur ein schönes Landschaftsbild in Richtung Chorio machen. Er kam wohl gerade vom Einkaufen zurück, hatte das Brot und die Einkaufstüte noch in der Hand, und ich dachte, erbost schwingt er gleich seinen Stock gegen mich. Schon sprach er vor seinem Haus mit einer Frau, gab ihr scheinbar ein paar Anweisungen, dann kam er auf mich zu, jedoch nicht wütend, sondern lächelnd, und lud uns in sein Haus ein, er hätte süße Früchte! Wir lehnten beschämt dankend ab, wollten nicht aufdringlich sein, und so kam dann doch die Frau mit einer Handvoll Aprikosen hinter uns her, die müssten wir doch unbedingt probieren! Ja, die Leute auf Sikinos sind unbeschreiblich freundlich. Es ist zwar nicht viel los, um die Mittagszeit im Kastro, aber die Einwohner bekommen alles mit und sehen Jeden, der vorbeikommt. „Sprecht ihr Spanisch?“ will der rüstige Rentner, der etwas oberhalb wohnt, neben der Mühle, von uns plötzlich wissen. „Nein, leider nicht“, „Und woher kommt ihr?“ „Eímaste apó ti Germanía“ Ah, auch gut, da wäre er oft gewesen. Er käme aus Brasilien, hätte dort 25 Jahre lang gelebt und gearbeitet. Ob er denn Grieche sei? Natürlich! Jetzt in Rente lebt er wieder auf Sikinos, seiner Heimat. Gerne hätte er sich ein wenig auf Spanisch mit uns unterhalten. Wobei mir das nicht ganz klar war, spricht man in Brasilien nicht Portugiesisch? Egal, Hauptsache ein Schwätzchen, und „sto kalo“.

Nur knapp eine halbe Stunde dauerte die Fahrt gestern mit der Artemis von Ios nach Sikinos, aber dafür hatte sie auch mehr als eine Stunde Verspätung. Das kannte man ja. Und weil ich unsere Unterkunft schon Anfang des Jahres gebucht hatte, als der Fahrplan für Sikinos nur die Artemis im Wochenrhythmus anzeigte, buchte ich die Rooms gleich für sieben Tage. Was ich allerdings nicht bereuen sollte. Nach dem doch etwas lebhaften Ios scheint es hier deutlich ruhiger zuzugehen. Der Hafenort Alopronia macht immer noch einen verschlafenen Eindruck, neben dem Restaurant des Porto Sikinos Hotels und der Strandbar, die jetzt Marconi heißt und Pizza oder Salat anbietet, gibt es kein weiteres Lokal, das geöffnet hätte. Wobei man sich vom Namen „Porto Sikinos Hotel Restaurant“ nicht abschrecken lassen sollte, es handelt sich um eine normale Taverne mit guter Küche zu moderaten Preisen. Die Lokale Lucas und das Meltemi sind dicht und verrammelt. Neben der Tankstelle hat ein weiterer Lebensmittelladen aufgemacht, „Sikinagora“, seit  Sommer 2016, wie die Inhaberin betonte, gut sortiert und sicherlich eine echte Konkurrenz zum allseits bekannten „Flora Market“, der mittlerweile sogar Mietautos anbietet, nach dem Motto: „Hier ist der Schlüssel, gib ihn einfach wieder ab, wenn du ihn nicht mehr brauchtst“. Kein Vertrag, kein Führerschein, keine Kreditkarte nötig. „Ach ja, und die Tankstelle hat nur freitags von Fünf bis Sechs geöffnet, hier in den Wasserflaschen ist schon mal etwas Benzin für dich,“ sagt Flora und füllt drei Wasserflaschen voll Benzin in den Tank. Aber sonst: Alles tippi toppi.

Von unserer Unterkunft haben wir einen guten Überblick über den Hafen, den Strand und das tägliche Treiben. Wobei „Treiben“ ist etwas zu viel gesagt. Der Bus hoch zur Chora fährt unregelmäßig, der Fahrplan wird meist nicht eingehalten, die Schiffspläne dagegen sind aktuell. Die acht gemeindeeigenen Sonnenschirme mit integrierten Parkbänken am Ortsstrand sind jeden Tag schnell belegt, manche schon  um 9 Uhr, es fehlt nur noch, dass sie per Handtuch vorreserviert würden. Aber außer uns gibt es hier wenige Deutsche. Und auch der letzte neunte Schirm wird heute sogar noch bespannt und klargemacht. Artemis, Dionisios Solomos und die kleine Fähre Santorini wechseln sich am Anleger ab, zwar nicht täglich, aber immerhin. Manchmal kommt auch die Caldera Vista noch vorbei. Anfang Juni gibt es also schon mehrere Möglichkeiten, hier weg zu kommen. Aber wer will das schon?

Oben in Kastro geht es da schon etwas lebhafter zu. Es gibt einen Bäcker (Mo - Sa von 7–14 und 18-19 h), mehrere Cafés und ein paar Restaurants, allerdings geöffnet sehen wir lediglich das Kapari an der Straße und das altbekannte To Steki tou Garbi. Das Klimataria hat noch geschlossen. Abends trifft man sich in den Gassen, der Pappas zeigt seiner Parea und uns per Smartphone stolz ein paar Videos von seinem Geigenspiel, er ist wohl ein bekannter Virtuose, und unser Bekannter mit den Früchten ist auch wieder dabei, sehr nett. In diesem Jahr scheint in Kastro deutlich mehr los zu sein als in Alopronia, Chorio gegenüber gelegen macht jedoch nach wie vor einen recht ruhigen Eindruck.

Sikinos ist sicherlich keine reine Badeinsel, obwohl der Dorfstrand in diesem Jahr sehr einladend aussieht, und die Wasserqualität hervorragend ist. Schöner und größer ist allerdings der Agios Georgios Beach, neben der gleichnamigen Kapelle. Hier gibt es Schatten durch ein paar Tamarisken und auch hier fest installierte Sonnenschirme, die wohl auf Sikinos an allen Stränden in Mode sind. Leider fährt der Bus jetzt in der Nebensaison nicht hierher, zu erreichen ist der Georgios Beach per Mietfahrzeug oder durch einen Wanderweg an der Küste entlang.

Und auch die Dialiskari Bucht ist nicht per Bus erreichbar, aber der Fahrweg von Alopronia dorthin ist ein netter Wanderweg mit tollen Ausblicken hinüber nach Ios. Und das Ag. Nikolaos Kirchlein liegt malerisch oberhalb der Bucht. Zur nördlich gelegenen wilden Malta Bucht fährt wohl nur in der Hochsaison ein Badeboot bei Bedarf.

Was wäre ein Sikinos Aufenthalt, ohne das auch Episkopi genannte Heroon aufzusuchen? Es ist eine Hauptsehenswürdigkeit der Insel, dessen Skizze sogar im Sikinos-Gemeinde-Logo verewigt ist. In der Hochsaison fährt der Inselbus dorthin, die Straße endet dort. Schon bei unserem letzten Aufenthalt haben wir uns dieses Ziel jedoch erwandert, auf dem wunderbaren Wanderweg Nr. 1, für dessen rund vier Kilometer Länge man von Chora ca. eineinhalb Stunden braucht. Er verläuft fast ohne Steigung parallel der Straße und bietet uns wunderbare Ausblicke über die tiefblaue Ägäis in Richtung Folegandros.
Das Heroon, im 3. Jahrhundert nach Christus als Grabmal für einen reichen Inselbewohner in der Form eines antiken Tempels erbaut, wurde in christlicher Zeit in eine Kirche umgewidmet, bevor es im 17. Jahrhundert unter Hinzufügung einer Kuppel zu einem Kloster erweitert wurde, und seither Episkopi genannt wird. In den letzten Jahren wurden das Grabmal und die umliegenden weiteren Gebäuden umfassend mit EU-Geldern restauriert, jedoch bleibt das alles für uns Besucher verschlossen. Dennoch, allein schon wegen der idyllischen Lage in einer wunderschönen Landschaft lohnt ein Besuch allemal. Und auf dem Rückweg könnte man in der Sikinos-Winery einen Stopp einlegen, wobei zu unserer Zeit scheint das dazugehörige Restaurant leider auch noch geschlossen zu sein.

Der wirkliche Höhepunkt auf Sikinos im wahrsten Sinne des Wortes ist und bleibt jedoch das Kloster Zoodochos Pigi auf den Klippen oberhalb von Kastro.
Und wir haben Glück: In diesem Jahr ist es abends von 18:00 bis 20:00 zur Besichtigung geöffnet, ein Highlight, das wir uns nicht entgehen lassen. Die Lage ist fantastisch.  Hinter den dicken Wehrmauern verbirgt sich das Kloster, mit Kirche, Refektorium, Klosterkatze, Museum und Museumsshop. Die Nonne, die diesen Shop betreibt, lässt sich nicht gern fotografieren, sie winkt dankend ab, als ich sie frage. Und  offenbar sind noch nicht alle Räume des Klosters restauriert, nur der vordere Teil ist begehbar. Aber Fotomotive gibt es reichlich, und das Licht hier oben lässt das Herz eines jeden Kykladenfotografen höher schlagen.

Ein letztes Mal streifen wir über die Thymian-übersäten Hügel südwestlich von Alopronia, genießen den Duft der Landschaft, die Ruhe und die Unberührtheit der Natur hier, um dann im letzten Abendlicht mit unserer Artemis Richtung Folegandros abzulegen.

RICHIS KYKLADENFIEBER