Kreta, die Umgebung von Sivas - Okt. 2018

Nachdem ich mich rückblickend nun endlich mal durch das Internet gewühlt und einige Reiseberichte gelesen habe (das mache ich eigentlich immer erst, wenn ich von einer Reise zurück bin, um nicht so viele Vorurteile und Vergangenes mitzuschleppen), stelle ich fest, dass unser Ort Sivas als Standort bei deutschen Reisenden schon lange beliebt ist. Und wie ich schon beim ersten Bummel durch den Ort vermutete, war die Platia von Sivas ursprünglich wohl viel gemütlicher als heute, da sie jetzt eher einer Straßenkreuzung gleicht. Es wundert mich jetzt auch nicht mehr, dass die Bedienungen der Geschäfte und Tavernen im Ort sehr gut Deutsch sprechen, was manche Menütafel widerspiegelt. Nun soll unsere kurze Reise ja nicht eine Reise in die Vergangenheit sein, auch wenn das einen besonderen Charme hätte, sondern vielmehr interessiert mich, ob diese Faszination Südkreta auch heute noch funktioniert, oder ob es evtl. Parallelitäten zur Entwicklung auf den Kykladen gibt, die ich seit Jahrzenten beobachte.

Daher machen wir in den nächsten Tagen einige Ausflüge und besuchen die umliegenden Orte, beginnend mit Pitsidia.
Pitsidia soll früher ja ein Ausweichort der Rucksack-Touristen aus Matala gewesen sein, als der Rummel dort zu groß wurde. Auffällig ist, dass über der zentrale Taverne im Ort in Versalien das Wort „TRAUMFABRIK“ geschrieben steht, und auch sonst alles reichlich mit Hinweisschildern beworben wird. Ja, auch hier spricht man Deutsch, der Ort scheint zu boomen. Überall wird gebaut, renoviert, restauriert. Hübsche Natursteinhäuser werden zu Urlaubsdomizilen ausgebaut, während etliche alte Rooms vor sich hin gammeln. Denn auch hier sind die Ansprüche in der Zwischenzeit halt gewachsen. Das Angebot an Läden und Restaurants scheint größer als in Sivas zu sein, das Restaurant „Raftis“ macht einen guten Eindruck mit ausgefallener Menütafel. Ja, Pitsidia könnte auch ein guter Standort sein, wenn nicht die vielen lauten Baustellen wären.

Da ist es spannend, direkt einen Vergleich zu Matala anzuschließen, die beiden Orte sind ja nur vier Kilometer voneinander entfernt. Vor Matala bin ich ja schon oft genug gewarnt worden, ein altes Hippiedorf, das nun vollkommen touristifiziert sei. Ganz so ist es nicht, wie wir feststellen müssen. Denn trotz der vielen Reisebusse und Tagestouristen ist die Schönheit der Bucht noch vorhanden und irgendwie ist auch der alte Charme dieses ehemaligen Fischerdorfes zu spüren, der eine oder andere Gestrige ist auch heute noch vor Ort und scheint die Gegenwart rund um den unansehnlichen Touristenbasar ausgeblendet zu haben. Und auch die meisten Besucher der neolithischen Wohnhöhlen interessieren sich wohl eher dafür, wie die Hippies hier in den 60er Jahren gehaust haben, als dass die Höhlen als archäologische Stätten aus der Jungsteinzeit auch mal Grabkammern der Römer waren.
Auch hier in Matala fällt mir das Nebeneinander der uralten abgewirtschafteten Unterkünfte und modernen Hotelanlagen auf. Ein lebendiges Zeichen des Wandels, so wie wir ihn in den 1980er Jahren am Plakastrand auf Naxos erlebt haben, zwar nicht als Hippies sondern als ganz normale Backpacker.
Einen kleinen Eindruck geben die alten Fotos von Matala auf der Website www.matala-kreta.de
Was waren das damals für herrliche Zeiten am Strand und in den paar einfachen Tavernen! Stress für die Wirte wurde es wohl erst, als immer mehr Rucksackreisende und Touristen die Orte überfluteten, die Arbeit hörte nie auf, von früh morgens bis spät in die Nacht musste in der kurzen Saison das Geld für den Rest des Jahres verdient werden.

Wir machen noch einen vorabendlichen Abstecher zum nahen Kamilari, das im Gegensatz zu Matala reichlich ruhiger wirkt und der kleine Bruder oder die kleine Schwester von Pitsidia sein könnte. Mit seinen ca. 450 Einwohnern ist es wohl etwa so groß wie Sivas. Ja, auch hier treffen wir auf deutsche Spuren, und eine Dipl. Pädagogin und Kretakennerin verspricht auf einem Plakatanschlag sogar, uns in 60 Minuten Griechisch beibringen zu können. Und das für nur 8,- Euro. Wenn ich das nur früher geahnt hätte, ich hätte viel Geld und Zeit gespart!
Der kleine Rundgang durch den Ort macht Laune. Vorbei an der bunten Ansammlung von Briefkästen am Gemeindehaus, der Kirche und dem Lebensmittelladen daneben entdecken wir noch einige andere Tavernen und sogar eine Pizzeria, dann das To Steki und das Akropolis der Familie Petrakakis, die wohl älteste Taverne in Kamilari, in der wir es uns für einen Sundowner auf der Terrasse gemütlich machen, und wo schon etliche Tische für den Abend reserviert sind. Ja, hier in Kamilari kann man das Leben genießen.

Der nächster Ausflug führt uns über Peri, Plora und Miamou nach Lentas, in etwa einer Stunde wären wir am Ziel, wenn, ja wenn die vielen Fotostopps nicht wären.
Ein deutlich anderes Bild als in der fruchtbaren sanften Messara-Ebene erwartet uns dort. Paprika- und Peperonifelder säumen den Weg, bis wir hinter Plora in die Berge abbiegen, unzählige Kurven und eine rauhe Landschaft sind mit etlichen Ikonostasen bestückt, hier und da eine Schafherde, die Orte wie Miamou wildromantisch.
Die Strecke bietet uns wundervolle Ausblicke in die Messara-Ebene, die leider im Dunst versinkt. Ja, der Oktober neigt sich langsam dem Ende zu und das griechische Licht ist jetzt einfach nicht mit dem im Sommer auf den Kykladen zu vergleichen. Aber warm ist es allemal, satte 26 Grad zeigt das Thermometer jeden Tag, kein Tropfen Regen fällt.
Vorbei an den Konterfeis der Revolutionäre Nikos Xylouris und Che Guevara, die einträchtig nebeneinander eine Straßentaverne schmücken, überqueren wir den Bergrücken und genießen den freien Blick über die steile Südküste.
Die große Landzunge liegt bräsig vor uns, die wohl einem ruhenden Löwen gleicht und daher Namensgeber des Ortes Lentas (Leontas) sein soll, wir schlängeln uns hinab. Abgelegen ist es schon, und bis vor einigen Jahren sicherlich noch ein Ort, in dem man sich abgeschieden von der der Welt eine Auszeit gönnen konnte – fern jeder Konvention. In der heutigen Zeit der Mietwagenkolonnen jedoch besuchen Touristen – wie wir – den Ort im Stundentakt aus Neugier, um einfach mal zu sehen – nicht zu erleben – wie damals in den 1970er Jahren die Rucksäckler auch schon mal im Hühnerstall übernachtet haben. Ich spreche da aus familiärer Erfahrung.

Nun, die Rucksäckler von damals sind heute eher ganz normale Touristen, wenn auch der eine oder andere Ehemalige im Café auf der Platia sitzt und uns eindringlich missmutig beäugt, ich kann´s ja verstehen, das ist halt der Preis, den der Fortschritt mit sich bringt.
Die deutsche Beschilderung an der Bäckerei lässt keinen Zweifel aufkommen, welche Zielgruppe gemeint ist, aber sonst ist alles ordentlich auf Englisch. Für den ca. 80 Einwohner zählenden Ort scheint die Anzahl der Unterkünfte allerdings enorm, mehr als erwartet, von alt und einfach bis neu und komfortabel ist alles dabei, und auch die Tavernendichte ist ziemlich hoch, allein bei unserem kleinen Rundgang zähle ich mehr als zehn Lokale. Das ist wohl mehr als doppelt so viel wie in dem beschaulichen Sivas, aber da fehlt ja auch der Strand. Der ist hier in Lentas komplett mit Liegen bestückt, was manchem Althippie nicht so gefallen würde, oder der alten Knochen wegen vielleicht doch, wenigstens sind sie kostenlos, zumindest jetzt im Oktober, und am Strand übernachtet ja auch schon lange keiner mehr, oder höchstens mal der eine oder die andere heimlich auf dem Sunbed. Nun, für hochgestresste Westeuropäer(innen) mit ihren Familien ist Lentas wohl immer noch ein ideales Plätzchen, um sich zu erholen. Rentner sehen wir hier weniger. Und für Ausflüge in die Umgebung steht ja auch der Mietwagen zur Verfügung, falls es einem mal zu langweilig werden würde.

Dann könnte man zum Beispiel die Ausgrabungen von Phaistos besuchen, auch als Faistos, Phaestos oder Festos ausgeschildert. Die Ruinen des Palasts von Phaistos, erbaut 1900 v. Chr.,  liegen keine sechs Kilometer von Sivas entfernt, er war einst der zweitgrößte minoische Palast Kretas nach Knossos und kann für 8,- Euro pro Person besichtigt werden. Allerdings sollte man früh morgens oder spät abends kurz vor Toresschluss - 18:00 Uhr - kommen, ansonsten wird man vor der Menge an Bussen und Menschen nicht viel sehen. Im angeschlossenen Café mit Museumsshop, das auch ohne Eintrittsgelder zugänglich ist, werden zum Beispiel Repliken aller Art des berühmten Diskus von Phaistos und nicht ganz so alte Repliken von Rakómelo angeboten.

Jedoch empfehle ich lieber zum Einkauf weiterer Urlaubsmitbringsel den Wochenmarkt in Mires, in der mit rund 11.000 Einwohnern größten Stadt in der Messara-Ebene. Hier kommen an jedem Samstag die Bauern, die Landbevölkerung und die Touristen aus der Umgebung zusammen. Ein Markt, der sich gefühlt kilometerlang auf der Hauptstraße durch den Ort zieht. Neben Honig, Gewürzen, Obst, Gemüse und anderen Lebensmitteln wie Käse und Olivenöl finden wir Kleidung, Stoffe, Schuhe, aber auch Töpfe und Pfannen, Ein-Euro-Ramsch, Hippieschmuck und lebende Kaninchen. Gut, die können wir jetzt gerade nicht gebrauchen, und so suche ich mir aus dem großen wurmstichigen Angebot, das ein Bauer auf seiner Pickup-Ladefläche hat, fünf knackige knallrote Äpfel aus, die mich anlachen und wurmfrei zu sein scheinen. Die Frage nach dem Preis beantwortet der Bauer widerwillig, den Kopf in den Nacken legend mit „pende lepta“.
Na ja, fünf Cent wird er ja wohl nicht gemeint haben, denke ich, alles was ich jetzt mache kann nur falsch sein, und gebe ihm ein 50 Cent Stück, in der Hoffnung ihn nicht beleidigt zu haben. Jedenfalls sind die Äpfel vorzüglich, und bis auf einen wurmfrei.

Auf jeden Fall sind sie ein guter Tagesproviant für den nächsten Ausflug. Wir gehen durch die Olivenhaine der Messara-Ebene nach Kouses. Ganz von allein scheinen die Oliven nicht zu wachsen, ein aufwendiges Bewässerungssystem durchzieht die Landschaft, nach ein paar Kilometer erreichen wir den kleinen Ort. Viel gibt es hier nicht zu sehen, aber einen schönen Aussichtsplatz mit Blick über die Ebene, bestückt mit einem martialischen Michalis Kourmoulis-Denkmal (1765-1824). Der fast schon berühmte Kräuterladen von Iannis Iannutsos ist leider geschlossen, die Peperoni hängen zum Trocknen über der Terrasse.
Zu Tisch auf Kreta - Botano. Seitdem er den Laden hat, in dem früher die Ortstaverne war, ist diese mit ihrer Außengastronomie auf die andere Straßenseite umgezogen. Es ist Sonntag, und so ist sie von griechischen Familien gerade gut besucht. Ansonsten herrscht tote Hose in Kouses, einem ruhigen Ort am Rande der Messara-Ebene mit nur wenig Urlaubsquartieren.

Das Zählen der Urlaubsquartiere kann ich mir bei unserem nächsten Ausflug sparen. Wir sind nach Agia Galini gefahren, „Agia Galini ist ein wunderschöner Ort, ein Juwel, eine der schönsten Perlen an der Südküste Kretas…“ lese ich auf agia-galini.com, und uns empfängt im Ort ein übersichtlicher Plan mit Aufzählung der „Unterkünfte A-Z“, „Geschäfte“ und „Dienstleistungen“. Vom Fahrradverleih über Minigolf bis Yoga ist alles dabei. Ja, ich wusste, dass Agia Galini wohl unseren Geschmack nicht treffen würde, aber so schlimm habe ich mir es dann doch nicht vorgestellt. Es hat sich wohl vom kleinen Fischerdorf zu einem Zentrum des Pauschaltourismus entwickelt, eine chaotische Ansammlung von Restaurants und Hotels, die in den letzten Jahren den Hang überwuchert hat.  Wir schlendern durch das Zentrum und die von Wikipedia „sogenannte Fressgasse“, und nehmen im menschenleeren THE JUNCTION eine Gyros Pita zu uns, die allerdings recht ordentlich ist. Ja, ich würde fast sagen, dass das das Beste für uns von Agia Galini war.

Dagegen ist das ruhige und im Oktober recht verlassene Kalamaki am Rande des Komo-Strandes fast schon ein Idyll mit seiner Paralia, den Strandtavernen und den dahinterliegenden Apartmenthäusern. Ja, auch hier können bevorzugt Familien sicherlich einen ruhigen Urlaub verbringen, man sieht vom Apartment in der ersten Reihe direkt aufs Meer, oder sitzt in einer der vielen Cafés oder Tavernen, während in Sichtweite die Kinder am Strand spielen. Wer nicht viel Wert auf Bewegung liegt, der ist hier richtig, vom Apartment zur Taverne und zum Strand sind die kürzesten Wege garantiert. Allerdings ist das dann auch alles, einige Hotels stehen in der zweiten Reihe, einen richtigen Ortskern gibt es nicht. Und man kommt auch hier ohne Griechisch-Kenntnisse über die Runden. Als ich in dem alten Kafenion am Rande der Paralia den gestiefelten Kreter auf Griechisch frage, ob ich denn ein Foto von ihm machen dürfe, antwortet er auf Deutsch: „Warum nicht? Komm, wollen wir ein Glas Wein zusammen trinken?“ Ein echt netter Typ!

Nette Menschen treffen wir auch im Kloster Odigitrias an, das nur 7 km von Sivas entfernt liegt, nicht zu verwechseln mit dem Kloster Gonia Odigitria an der Nordküste westlich von Chania.
Generell habe ich eher Vorbehalte, Klöster und religiöse Stätten zu besuchen, in denen Geistliche leben und arbeiten, nur um sie zu besichtigen. Aber das Kloster liegt halt in der Nähe, und viele Reiseführer rufen dazu auf, es sich anzusehen, es ist ein religiöser und kulturell bedeutender Ort. Und so gibt es auch heute außer uns eine Handvoll Touristen, die den Weg hierher gefunden haben. Die Smatphones sind gezückt, die vier Bewohner des Klosters, die wir sehen, verrichten ihre Arbeit und tun so, als wären wir Besucher durchsichtig und Luft für sie. Das fotografiert zu werden scheint sie überhaupt nicht zu stören, sie haben sich anscheinend daran gewöhnt. Umso erstaunter bin dich dann, als ich die Mönche anspreche und um eine Fotografiererlaubnis bitte. Sie sind ganz erstaunt. Dass jemand fragt ist offensichtlich nicht üblich, aber ihre Reaktion ist verhalten zustimmend, und ich darf sie fotografieren.

Das Kloster selbst wirkt auf den ersten Blick eher unspektakulär, es gibt eine hergerichtete alte Mönchszelle, fotografierbereit, jedoch das kleine Museum mit alten Werkstätten, Ölmühlen und Pressen macht neugierig, und natürlich die Klosterkirche. Die fast rußgeschwärzten alten Fresken hier sind schon beeindruckend.

Das Kloster ist auch heute noch ein Ort der Ruhe und Besinnung, auch mit seiner daneben liegenden Kapelle, geweiht Agios Ioannis Xenos & Agios Efraim, und letztlich ist es auch ein Highlight unserer Ausflüge in den Süden Zentralkretas.


RICHIS KYKLADENFIEBER