ANAFI - UND DIE ANAFISTEN, JUNI 2014

Zum Glück war die Ägäis ziemlich ruhig, als wir von Santorini mit der Aqua Spirit nach Anafi kamen. Trotzdem schaukelte die Fähre nicht schlecht, die Wellen schlugen derart heftig an den Anleger, dass die schwankende Ladeklappe die Höhenunterschiede ausgleichen musste, und wir so mal eben mit Gepäck - und im Dunkeln - von der Fähre aus an Land springen -  aus einem Meter Höhe. Auf Anafi scheint das normal zu sein.
Alles zum Glück unfallfrei.

Gespannt waren wir schon, wie sich die Insel verändert hatte, lange waren wir nicht mehr hier, und hatten Anafi immer als etwas Besonderes, weit ab vom Schuss in Erinnerung, auch nicht sehr kommunikativ, die Leute hier. Aber das hat sich offenbar gewandelt.
Heute ist es ist sehr einfach, auf Anafi Kontakt zu finden. In der Nebensaison sind einige Restaurants noch nicht so gut besucht, und da kommt man schnell ins Gespräch mit anderen Reisenden. Beziehungsweise man wird angesprochen, wohl aus Langeweile. Besonders bei Alexsandra oder im Liotrevi, natürlich nicht im Astrachan, denn da verkehren die Einheimischen oder die Eingebürgerten, nicht die "Anafisten", so wie ich sie nenne.

Auch nicht im To Steki, dann da ist die Touristen-Normaldichte zu hoch - und auch der Altersdurchschnitt. Junge Leute im Juni: Fehlanzeige. Es gibt halt auch einen Nachteil, zu früh oder zu spät im Jahr die kleinen Inseln zu bereisen.

Die WhatsApp Generation ist noch nicht da, die älteren Herrschaften langweilen sich und fangen an zu plaudern. Und die Anafisten sind unerbittlich:
"Seid ihr auch schon mal hier auf Anafi gewesen?"
"Äh, ja, wir waren schon..." Jegliche Konversation wir abrupt unterdrückt.
"Also, wir kommen schon seit 33 Jahren hierher, wir gehören hier schon zum Invertar, nicht Heinz? Wir waren schon hier, da gab es die Straße noch gar nicht, mein Mann und ich wir sind immer zu Fuß zum Strand gelaufen, bis zum Roukounas. Da am Klissidi bei Margarita gab es nicht mal Stühle und Tische, einfach nur Holzbänke, und es roch immer nach Hasch. Jetzt ist das ja superfein dort. Und zu Essen gab es auch nicht immer alles, Choriaktiki ohne Käse im To Steki, oder auch mal ohne Gurken, weißt du noch, Heinz? Ja und einmal sogar ohne Tomaten. Lächerlich, wo es doch nebenan bei Moula (die gibt's heute ja nicht mehr) einfach alles gab. Sogar Fisch. Und weißt du noch, Heinz, wie dieser Hund uns verfolgt hat? Eigentlich ein ganz Lieber. Ist mit uns vom Klissidi hoch nach Chora gelaufen, wir haben noch versucht, ihn abzuwimmeln, haben den Fußweg genommen und ihn verscheucht. Aber er - oder ich glaube es war eine sie - ist den Umweg über die Serpentinenstraße gelaufen und hat uns oben als wir in Chora ankamen hechelnd in Empfang genommen, verrückt... " Ich wollte noch entgegnen: "Wir auch, aber in diesem Jahr, muss es dann aber ein anderer Hund gewesen sein." Keine Chance.

Ja, auch wir sind direkt am ersten Tag zum Hafen und dann weiter zum Klissidi gelaufen.
Agios Nikolaos ist allerdings eine Großbaustelle, die Felsen hinter der Hafentaverne werden befestigt, der gesamte Hafenbereich gesperrt, außer bei Schiffsankünften. Aber wen interessiert das schon?

"Und woher kommt ihr jetzt?" werden wir weiter verhört.
"Von Santorini" sag ich, und ziehe innerlich die Schultern schon zusammen. Ein Massentourist! Pfui! Von Santorini, war ja klar, von wo denn sonst? Vielleicht von Kreta? Eher unwahrscheinlich. "Ah, Santorini, kenn ich, da hatte ich mal ne tolle Höhlenwohnung,
gar nicht teuer." "Ne, Höhlenwohnung mag ich nicht so, der Blick ist zwar klasse, aber zu teuer und oft auch zu stickig, da krieg ich keine Luft".

 

Unser Tischnachbar, Oberbayer mit Hang zum Österreichischen, kramt gleich seinen alten Hans Moser raus und kontert auf Wianerisch: "Ja geh, was woins? Man kann nich alles hoabn. Woins a Blick oda a Luft?" Den Spruch fand er richtig klasse, so dass er ihn mindesten noch zehnmal am Abend wiederholte. "Also, was woins? A Blick oda a Luft?" und lachte sich kaputt. Gerne hätte ich auch etwas rausgelassen, von wegen "wir auch schon seit x-Jahren" und hab immer die Wanderer bewundert,
die damals schon den Kalamos bezwungen haben, ganz ohne Straße, zu Fuß bis zum Kloster Zoodochou Pigi und dann noch rauf zur Spitze bis zur Panagia Kalamiotissa Kapelle. Da gab´s unten vor dem Kloster das letzte Bauernhaus, wo man noch Wasser nachfüllen konnte, und der Bauer jedem Wanderer - aber auch jedem - zu Wucherpreisen seinen Ziegenkäse angedreht hatte. Oder war es Schafskäse? Egal.

Einfach legendär. Und der Kalamos war für mich seit Jahren immer schon der "Ritterschlag" der Kykladen-Kenner. "Was, du warst auf dem Kalamos? Respekt!"
Also, dieses Jahr muss es einfach sein.
Die rechte Spitze, das ist er.

Man kommt bei der Unterhaltung mit den Anafisten einfach nicht dazwischen. Steht einem ja auch nicht auf der Stirn geschrieben: "Ja, ich war auch schon mal hier", und ich hab ja auch keinen Kykladenfieber-Aufkleber auf meinem Rucksack. Irgendwie müssen wir aussehen wie die letzten unbeleckten Touristen.

Aber das kann auch Vorteile haben. Den Einheimischen ist das egal, sie freuen sich, wenn man sich mit ihnen ein wenig verständigen kann, und sie sind nach den langen Wintermonaten anscheinend froh, mal andere Gesichter zu sehen, und noch nicht von den Touristen genervt.

Die Insel ist ja auch wunderschön, mit ihrer gepflegten Chora, den atemberaubenden Ausblicken, den tollen Wandermöglichkeiten und Stränden. Da wundert es einen nicht, dass so manche(r) sie als Lieblingsinsel auserkoren hat.

Leider ist das Wetter in diesem Frühjahr nicht sehr beständig, was aber der Fotoqualität keinen Abbruch tut, im Gegenteil. Und so nutzen wir die Gelegenheit, am nächste Tag den Kalamos zu bezwingen. Der Busfahrplan passt nicht in unser Zeitkonzept, und blöderweise hat der Autovermieter nur noch ein komisches Geländefahrzeug, alle Kleinwagen sind schon weg. Hätte ich den Anafisten nicht zugetraut, so viele Mietautos zu benutzen!

Nun ja, es ist schon spät geworden, der Kalamos versteckt sich inzwischen unter einer Linsenwolke, die partout nicht weichen will. Aber noch ist das Wetter gut, die Anargyroi Kirche ein williges Fotomotiv.

Die Klosterpforte des Klosters Zoodochou Pigi am Fuße des Kalamos ist verschlossen, eine Besichtigung innerhalb der Wehrmauern nicht möglich, und so beginnen wir den etwa eineinhalb stündigen Aufstieg zum Gipfel. Der letzte Wanderer kommt uns entgegen, unser österreichischer Tischnachbar, nicht der Oberbayer. Dann haben wir den Berg ganz für uns allein. Ein Verlaufen fast unmöglich, der Weg ist gut markiert, auch weisen viele Steinmännchen den Weg. Schnell verlassen wir die Hochebene des Klosters und genießen den Blick über die Insel. Zwei kleine Unterstände am Weg geben etwas Schutz gegen Regen, blöderweise müssen wir die obere Hütte auch nutzen. Aber nach einem kurzen Schauer erreichen wir dann doch noch trockenen Fußes den Gipfel, wenn auch in den Wolken.

Etwas schwindelfrei sollte man hier allerdings schon sein, die wackeligen Geländer sind nicht sehr vertrauenserweckend.
Hinter den nächsten Rechtskurve ist sie dann plötzlich sichtbar: die Gipfelkapelle der Panagia Kalamiotissa.

Natürlich darf die obligatorische Gipfel-SMS Richtung Herrenberg schon wegen des Neidfaktors nicht fehlen, und schon klart der Himmel auf. Trotzdem bleibt die Aussicht Richtung Chora leider bescheiden.
Und so fackeln wir nicht lange und steigen schnell wieder zum Kloster ab, mit dem Gefühl endlich doch mit dem Kykladen-Ritterschlag geadelt zu sein.


RICHIS KYKLADENFIEBER