Folegandros - Chora, Juni 2016

„Weißt du, man kann sich über alles aufregen,“ sagt er zu mir als wir zum Baden den Weg nach Karavostasi hinunterfahren, „über das Wetter, die Politiker, die Steuern, die Banken. Man muss das alles lassen. Es ändert sich dadurch nichts.“ Da war sie wieder, die griechische Weisheit und Lebenserfahrung, die ich so lange vermisst hatte.
„Wie lange kennen wir uns jetzt schon?“ sinniert er. Schon ewig. Es war die Zeit unserer ersten Besuche, als die Kinder der Tavernenwirte gerade geboren waren, auf dem Arm der Mutter getragen oder auf dem Fußboden zwischen den Gästetischen spielten. Heute studieren sie in London oder Leipzig und helfen im Sommer im Service aus, junge moderne Griechinnen und Griechen, die Männer in dieser Saison mit Vollbart, der ist zur Zeit wieder in.
„Ja, wir werden mit unseren Gästen zusammen alt, und alles ändert sich, nur wir bleiben die gleichen…“ sagt er ein wenig melancholisch, wobei ich ihm recht geben muss, denn mit den Besuchen in Intervallen von ein paar Jahren spüre ich diese Veränderungen vielleicht deutlicher als permanent vor Ort. In unserer Unterkunft hat die nächste Generation schön längst das Ruder übernommen: „Weißt du wieviel Steuern ich seit dem letzten Jahr zahlen muss? Ich werde meinen Firmensitz nach Bulgarien verlegen, da zahle ich dann nur noch 10 %!“
„O.k., du zahlst die Steuern ja erst seit letztem Jahr. Soll ich dir mal sagen, wieviel ich in den letzten 35 Jahren gezahlt habe?“ Es folgt dieser etwas ungläubige glasige Blick mit dem leichten kurzen Kopfschütteln, das nur die Griechen beherrschen und absolute Ahnungslosigkeit signalisiert. Es ist schon etwas paradox. Auf der einen Seite wird Deutschland für seine Wirtschaftskraft bewundert, aber der kleinkarierte Eigennutz ist den Griechen immer noch näher als der Gemeinnutz. Das Umdenken ist ein langsamer Prozess. Steuern zahlen an das Finanzamt, freiwillig? Unvorstellbar! Trotzdem geht es auf Folegandros voran.

Wir machen einen kleinen Gang durchs Dorf, es ist Ende Mai. Vereinzelt wird gewerkelt und gepinselt, Saisonvorbereitungen. Vor dem Spitiko wird der Oregano gerebelt, im Kastro-Viertel sehen die Häuser unbewohnt aus, nicht so lebendig wie sonst um diese Jahreszeit. Vielleicht sind wir doch zu früh?  Keine Wäsche vor der Tür, keine Besen, nur ein bis zwei Häuser scheinen bewohnt zu sein. An einigen hängt das Schild: Zu verkaufen.
Generell ist es noch sehr ruhig und verschlafen, ruhiger als sonst, aber ab Mitte Juni soll es voll werden, die Griechen sind optimistisch, die Buchungen reichen bis Ende September, nur die griechischen Familien kommen nicht mehr, kein Geld. Also doch Krise. Die Saison verschiebt sich nach hinten, sagt Kostas.

Wir gehen ein Stück aus dem Dorf heraus, an Sousi´s Hair & Nails Studio vorbei zur Straße nach Ano Meria. Von hier aus haben wir einen tollen Blick auf Chora mit der Panagia Kirche. Aber immer schön den richtigen Bildausschnitt wählen, sonst kommen die hässlichen Skelettneubauten mit aufs Bild. Wird bestimmt nachher alles in schicker Natursteinoptik verklinkert.
Die Straße ist schnell erreicht, die Stavros-Kapelle leuchtend weiß, der Weg zu Fuß nach Ano Meria noch weit, falls man nicht spontan mitgenommen wird. So ist es halt auf dem Dorf. Da wundert sich selbst der letzte Esel nicht mehr.

Am Abend dann sieht der Ort schon viel belebter aus, aber voll ist es nirgendwo, selbst beim Kritikos gibt es noch freie Plätze. Stratos hat sein Kafenion nun durch ein Restaurant erweitert, er nennt es „araxe“, er sagt das heiße soviel wie „relax“ und bietet ausgezeichnete griechische Küche. Sein Fava kommt von Santorin und ist das beste Fava überhaupt, wie er sagt, mit Kapern, Zwiebeln, Zitrone und Öl. Der Xoriatiki mit Myzithra und Dakos ist üppig, kommt frisch und nicht aus dem Kühlschrank, die Moussaka ist in der Tat eine der schmackhaftesten, die ich je gegessen habe.
Gleich stellt er uns seinen Koch vor, holt ihn aus der Küche zu uns an den Tisch, und den Olivenbauern gleich mit, der zufällig vorbei kommt und von dem er das exzellente Olivenöl hier von der Insel bezieht. Wir sind voll des Lobes, tauschen ein paar Sätze über die Schwierigkeit der Ernte durch die Hanglage, die gute Qualität und die Härte des Lebens aus, und werden seitdem von den Beiden immer freundschaftlich gegrüßt. Griechenland wie früher.
Stratos führt inzwischen ununterbrochen wichtige Telefonate, „megala provlimata“ wie er uns andeutet, er ist am nächsten Tag verschwunden, abgereist, ein paar Tage später wieder da. „Geschäfte in Athen?“ frage ich ihn. „Oxi, Warschau.“ Schwiegermutter plötzlich verstorben, kurzfristig Flug nach Warschau gebucht. Mit dem Seajet nach Santorin, von dort mit dem Flieger nach Athen, weiter mit LOT oder Ryanair nach Warschau, alles an einem Tag, Beerdigung und zwei Tage später zurück. Soviel zur Abgeschiedenheit der griechischen Insel Folegandros. Griechenland doch nicht wie früher.

Wir streifen noch weiter durch die abendlichen Gassen, überraschen nur kurz Lisbet in ihrer etwas versteckten Keramikwerkstatt, und  nehmen einen Absacker im auch bei den Griechen beliebten Lotsia. Morgen wollen wir dann mal nach Ano Meria und zum Agios Georgios Bay.

RICHIS KYKLADENFIEBER